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2013-Projekte-Pastinaken-022013-Projekte-Pastinaken-012013-Projekte-Pastinaken-042013-Projekte-Pastinaken-03Fotos, Andrea Huber 2013

Süddeutsche Zeitung vom 9.März 2013

BRAUNES GEMÜSE

Eine Ausstellung im Gasteig will Jugendliche über unterschiedliche Formen des Rechtsextremismus aufklären. Auf belehrende Erklärtafeln und klassische Führungen wird dabei verzichtet – die Besucher sollen einfach stöbern

VON SILKE LODE

Eine Ausstellung über „Brauntöne”, über unterschiedliche rechte Tendenzen in der Gesellschaft – das klingt stark nach erhobenem Zeigefinger. Doch genau darauf verzichtet die Schau „Pastinaken raus”, die noch bis 21. März im Gasteig gezeigt wird. Es gibt weder belehrende Erklärtafeln noch besserwissende Audioguides, sondern einfach nur drei komplett eingerichtete Wohnzimmer. Zum Konzept von Matthias Weinzierl gehört, dass die Besucher sich wie zu Hause fühlen sollen. Sie dürfen in Regalen stöbern, Schubladen durchwühlen, mit einer Zeitschrift auf dem Sofa sitzen oder den Papierkram am Esstisch durchsehen. Siekönnen frei erkunden und Interpretationen anstellen – und zu entdecken gibt es einiges. Das Jugendzimmer zum Beispiel, das auf den ersten Blick wie die verwahrloste Bude eines durchschnittlichen Pubertie-

Im „Altdeutschen Wohnzimmer” hängt an der Wand ein Hitler-Portrait

renden aussieht, der sich primär für Computer interessiert und seine eigenen vier Wände mit Stickern und Graffiti überzieht. Doch die Botschaften in allen Ecken des Raums sind eindeutig: „Antif agruppen zerschlagen” oder „Kein Bock auf Israel” steht auf den Aufklebern, im CD-Regal stapeln sich die Platten rechter Bands, am Schreibtisch liegt die Verpackung einer Soft-Air-Pistole und auf dem Stuhl prangt ein großes Hakenkreuz.

Ein klarer Fall ist auch das „Altdeutsche Wohnzimmer”. Hier sitzen gerade Zehnt -klässler der Wilhelm-Busch-Realschule, eine klassische Führung haben sie wie alle anderen Besucher nicht. Für Schulklassen haben die Kammerspiele allerdings ein eigenes Programm mit Theater-Workshops entwickelt. Ein Teil der Klasse hat sich dieses Zimmer genauer angesehen, dann hat Workshop-Leiterin Renate Grasse sie aufgefordert, sich Gedanken zu machen, wer in dem Zimmer leben könnte. Mit einer kurzen Szene, die sich so dort abspielen könnte, sollen sie nun den Raum ihren Klassenkameraden vorstellen.

An der Wand hängen Geweihe neben alten Stadtansichten und Familienbildern, im Regal steht völkische Literatur, von der Gegenwart zeugt hier fast nichts. „All die arbeitslosen Ausländer hier. Beim nächsten Mal wähle ich NPD!”, verkündet ein Schüler, der in die Rolle eines älteren Mannes geschlüpft ist. Seine Frau leistet schwachen Widerspruch, da kommt die Enkelin zu Besuch und will ihre Schulfreundin vorstellen. „Ein Schwarze?”, poltert der Mann. Und während er zetert, zieht er den Vorhang zur Seite, hinter dem ein Bild von Adolf Hitler hängt. „Oma sag doch was”, versucht es das Mädchen und erntet nur eine resignierte Antwort: „Was soll ich denn sagen? So ist es halt”. Das reicht der Enkelin – auch die Tränen der Oma können sie nicht dazu bewegen, länger zu bleiben.

Am subtilsten kommt der „Salon Sarrazin” daher: fliederfarbene Wände, moderne Ikea-Möbel, Weidenkätzchen in der Bodenvase. Erst beim Stöbern fangen die Schüler an, sich zu wundern: zwischen Günter Grass, Thomas Mann und Christa Wolf finden sie auffällig viele Bücher im Regal, in denen andere Religionen als Bedrohung dargestellt werden. Zeitschriften, die sich mit Thilo Sarrazin beschäftigen, stehen hoch im Kurs, ebenso sein Buch „Deutschland schafft sich ab”. Und auf dem Tisch liegt ein Antrag auf Schulwechsel. Begründung: An der alten Schule gebe es zu viele Migrantenkinder.

„Natürlich gehen die Jugendlichen je nach Schultyp die Ausstellung unterschiedlich an. Aber sie wird immer verstanden”, sagt Renate Grasse. Sehr unterschiedliche Rückmeldungen bekommen die Macher hingegen von erwachsenen Besuchern. Viele kommen zufällig auf dem Weg zur Stadtbibliothek an den Containern vorbei, andere kommen gezielt. „Es gibt immer wieder Leute, die sich provoziert fühlen”, sagt Grasse. „Lasst doch die alten Themen”, sei ein Kommentar, der immer wieder falle. Und beim Salon Sarrazin komme regelmäßig die Frage, was daran rechtsextrem sei. Genau darum geht es Kurator Weinzierl, um die Schärfung der eigenen Wahrnehmung: „Das Bild vom glatzköpfigen Stiefelnazi hat ausgedient.” Die meisten Fragen wirft jedoch der Titel der Ausstellung auf -„Pastinaken raus”. Viele wissen nicht, dass Pastinaken ein Gemüse sind. Umso häufiger funktioniert dagegen die Assoziation mit dem Begriff „Kanaken”, und ein Filmteam findet immer wieder Leute, die über das „zunehmende Pastinaken-Problem” schwadronieren. „Ressentiments und Vorbehalte kann man gegen alles und jeden erzeugen”, stellt Weinzierl fest. „Sogar gegen ein fades Gemüse.”

www.pastinaken-raus.de